Wunderbare Leere

„Es herrscht wunderbare Leere, schwerelos. Und die Welt sperrangelweit“, singt Herbert Grönemeyer. Er ist einer der großen in der deutschsprachigen Popmusik und das seit Jahrzehnten. Herbert Grönemeyer zu beschreiben ist genauso schwer wie seine Texte zu verstehen. Es genügt nicht, kurz hinzuhören. Man muss sich Zeit nehmen und auch zwischen den Zeilen lesen. Tatsächlich geht es bei dem Ausnahme-Musiker nie wirklich darum, wie er singt, sondern oft darum, was er singt.

Er besingt einen Tag, einen Zustand, der vom Nichts geprägt ist, der einfach da ist – da ist, um ihn zu leben. Einen Tag, der nichts einfordert, der nichts bereithält und der genau dadurch eine wunderbare Leichtigkeit in sich trägt. Ja, eine Zeit, die nicht durchgetaktet und durchgeplant ist. Eine Zeit, in der ich nicht ständig etwas zu erledigen habe und immer etwas von mir erwartet wird. Ich darf sie selbst füllen, und wenn ich sie nicht fülle, dann ist es auch gut.

Leere Zeiten – für mich sind es „heilige Zeiten“. Denn in der Freizeit, in den Ferien, im Urlaub, da spüre ich manchmal etwas von dem, was die Sprache noch bewahrt hat: Zeit ist ‚heilig‘, weil sie geschenkt ist. Gerade die ‚leere Zeit‘ macht das deutlich. Wir können sie nicht herstellen, nicht kontrollieren. Sie ist einfach da. Ich brauche solche Momente als Gegenpol zur Arbeit, die den Tag fast ohne Pause ausfüllt.

Beide Seiten des Lebens finde ich wichtig. Meine Arbeit im Antoniushaus erfüllt mich, sie gibt mir einen Lebenssinn und macht mich zufrieden. Aber Arbeit ist nicht alles.

Die Sehnsucht nach liebevollen Beziehungen, ehrlichen Freundschaften und nach tiefer, echter innerer Gemeinschaft gehört für mein Leben auch dazu. Beziehungen, in denen ich einfach da sein kann, in denen ich mich selbst nicht darstellen muss, ich denen ich mich auch zeigen kann und darf. Es geht dabei nicht nur um den Austausch von Informationen, sondern um die persönliche Begegnung, um Vertrauen; Beziehungen, in denen mein Gegenüber mich auch wahrnimmt, die feinen Nuancen und Resonanzen, die ich aussende – ohne große Worte und Erklärungen. Diese Zeit muss, darf ich mir immer wieder gönnen, damit mein Leben nicht nur gefüllt, sondern auch erfüllt ist.

Mindestens genauso viel Zufriedenheit bekomme ich von Zeiten, an denen ich einfach nur dasitze und die Welt um mich herum betrachte, still werde. In der Stille fangen wir an, die Dinge draußen von innen her zu schmecken und zu verkosten, ihren Duft aufzunehmen, sie achtsam zu berühren, sie zu erlauschen und sehend wahrzunehmen. In der Stille bringen wir die Welt über die Sinne ins Innere. Das Sehen wird zum Schauen, das Hören zum Horchen, das Tasten zum Ergreifen und Ergriffensein, das Riechen und Schmecken zum Kosten und Verkosten.

Diese scheinbar leeren Zeiten sind wichtig und es geht dabei nicht nur um den körperlichen Stress, Herzinfarktvorbeugung oder Kraft, dass ich später wieder funktioniere. Mir geht es auch um ein Stück Lebenskultur, damit, wie ich mit mir selbst umgehe.

Diese Zeiten sind nicht nur einfach leer, sie sind frei für mich, um mich zu fragen, was denn meinem Leben Fülle gibt. Sie sind eine Einladung, dem Sinn meines Lebens auf die Spur zu kommen. Zeit, damit ich in Ruhe mein Handeln überdenken, meinen Wünschen nachspüre. Zeit zum Zurückschauen, zum Begreifen, was geworden und entstanden ist, Zeit zum Danken.

Herbert Grönemeyer findet ganz herrliche Bilder dafür, wie sich das anfühlen kann, wenn da mal nichts ist:

„Heute mache ich mir keine Sorgen
Ich fass sie morgen wieder an
Leb momentan und falle frei
Es herrscht wunderbare Leere, schwerelos
Und die Welt sperrangelweit“

Diese wunderbare Leere mit einer Welt, die sperrangelweit für alles Mögliche offen steht, wünsche ich uns. Und dass ein wenig spürbar wird von dem Versprechen, das in dem Wort holidays steckt. Nämlich holy days: heilige Zeiten. Zeiten, in denen etwas gut und heil werden kann in meinem angestrengten Leben.