Die Nacht hat sich ausgeweint …

November … verbunden mit Assoziationen von einem grauen Himmel, Nebel, kahle Bäume, Nieselregen, Friedhofsbesuche, Totengedenken und die beiden Feste Allerheiligen und Allerseelen, gleich zu Beginn des Monats. Und auch in uns kann es grau und verhangen, trüb und resignativ aussehen.

„Die Nacht hat sich ausgeweint und einem blauen Himmel Platz gemacht, das ist ein Tag, der nach Aufbruch riecht.“ Ein Satz, der mir ‚zugefallen ist‘ und gerade so richtig passt! Und – weil er – so kurz er auch ist – auf verschiedenen Ebenen gelesen werden kann. Zuallererst auf der wörtlichen. Wer kennt ihn nicht, den blauen Himmel nach einer durchregneten Nacht, blankgeputzt mit einem Blau, das einen geradezu beflügelt.

Der blaue Himmel kann aber auch für ein neues Leben stehen, und zwar für den Moment, an dem die Lebenskraft, die Lebensfreude, der Lebenswille wieder erwacht. Nach einer Zeit, in der ich das Gefühl hatte, in einem dunklen Loch zu versinken, so richtig „down“ war; er kann kommen; nach einer Woche, in der die schwere des Lebens so richtig spürbar war; nach einer Zeit der Trauer, zahllosen Tränen und bleierner Schwere. Und plötzlich, unberechenbar und nicht zu erzwingen ist er da, der neue Tag, der wieder nach Leben, nach Freude schmeckt. Er kann kommen mit einem Blick, mit einem Augenblick, mit einer leisen Ahnung: Es muss mehr geben als diese sichtbare und greifbare Welt; es muss jemanden geben, der mir hier und heute beisteht und mich herausführen möchte aus den Gräbern der Trauer, der Mutlosigkeit, der Verzweiflung, der Resignation. Manchmal blitzt diese Wirklichkeit auf – mitten im Leben.

Er kann kommen mit einer Erinnerung, einer Erinnerung an vergangene Stunden, die noch da sind, im Herzen sind. Und der neue Tag, der Tag, der nach Aufbruch riecht kann kommen, in einem Menschen, der mich fordert, der mich rein fordert ins Leben oder ganz einfach braucht.

„Wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz“, sagt die Dichterin Hilde Domin. Es ist gut, dass wir Erinnerungen haben und dass dieser goldene Glanz immer wieder in Erinnerung gerufen wird. Ja, da glänzt er, der goldene Saum an meinem Lebensweg, der blaue Himmel, der zu einem Neuanfang ruft, die Spur meines Gottes, der mir zwar den steinigen Weg nicht erspart, aber dafür auch in meinen Sorgen und Nöten, im Leiden nicht alleine lässt.

Das Leben ist Geschenk, Gabe, Gnade – mit allem, was dazugehört. Mit Mut und Hoffnung, mit Freude und Verlust, mit Schmerz und Trauer. Da ist nichts, was wir machen, was wir uns antrainieren oder was wir erzwingen können. Leben bleibt lebendig – mit Nächten der Tränen und mit Tagen der Freude, mit wolkenverhangenen und sonnendurchstrahlten Stunden.

Ich wünsche uns allen, dass uns einleuchtet, dass Gott uns herausführen möchte aus den vielen kleinen und größeren Gräbern mitten im Leben und auch aus dem Tod, der todsicher für einen jeden von uns kommt, wenn sein irdisches Leben hier einmal beendet sein wird. Ich wünsche uns, dass wir dann sagen dürfen: „Die Nacht hat sich ausgeweint und einem blauen Himmel Platz gemacht, das ist ein Tag, der nach Aufbruch riecht.“